1. Einige Rahmenbedingungen
Seit Jahren verweisen Technikverbände wie VDMA, VDI und VDE auf die angeblich
physik- und technikfeindliche Haltung von Schülerinnen und Schülern
und beklagen den Mangel an Nachwuchs sowohl im Handwerks- als auch Ingenieurbereich.
In der Lebenswelt hat es in den letzten Jahrzehnten umgreifende Veränderungen
in der industriellen Fertigung, im Handel und Dienstleistungsbereich gegeben.
Roboter erledigen rechnergestützt immer komplizierte Aufgaben, Computer
übernehmen Routinearbeiten im Rechnungswesen.
Im schulischen Bereich steigen die Erwartungen an die Schulen: Einerseits
sollen Standards festgelegt werden, an deren Erfüllung sich jede Schule
– auch im Vergleich zu anderen Schulen - messen muss, andererseits wird
erwartet, dass jede Schule sich ein eigenes Schulprofil entwickelt, um sich
von anderen Schulen zu unterscheiden.
2. Bisherige
Arbeiten an der IGS List
Seit gut sechs Jahren arbeiten wir an der IGS List im Technik - bzw. EDV -
Bereich zweigleisig: Neben den traditionellen Computerkursen wurden auch Wahlpflichtkurse
mit Einheiten zu „Messen – Steuern – Regeln“ durchgeführt.
Mit dem multimedial aufbereiteten Projekt „Frieren unsere Meerschweinchen
im Winter“, mit dem über mehrere Monate die örtlichen Witterungsbedingungen
erfasst und in Vergleich zu den natürlichen Lebensbedingungen gesetzt
wurden, gewannen wir sowohl den „Innovationspreis für Schulen der
Region Hannover 2001“ wie auch den „Multimedia Förderpreis
2002“ mit insgesamt über 11.000 DM Preisgeldern.
Gleichzeitig war dies ein wichtiger Beitrag für die Verleihung der Auszeichnung
„Umweltschule in Europa 2002“.
Aufgrund verbesserter technischer Ausstattung konnten daher im letzten Schuljahr
erstmals mehrere „Roboter–Bau–Labore“ als Arbeitsgemeinschaften
durchgeführt werden, die sich unter der Überschrift „Rollen
– Krabbeln – Gehen“ vor allem mit den Bewegungsvorgängen
bei Käfern und deren Nachbildung bei Robotern beschäftigte. Diese
Arbeiten wurden auf der Veranstaltung „Technik verbindet“ Ostern
2002 öffentlich vorgestellt.
Ebenfalls aufgrund verbesserter technischer Ausstattung konnte der Wahlpflichtkurs
Technik ein Modell einer computergestützten Fertigungsanlage erstellen.
In diesem Schuljahr
- beschäftigt
sich die Roboter AG 5/6 mit dem Entwurf und der Programmierung kleiner autonomer
Roboter
- stellt die Roboter AG 7/8 ein Team von fußballspielenden Robotern
zusammen
- baut der Wahlpflichtkurs Technik 9 verschiedene Automaten: Ein Cola-Automat;
ein Bonbonspender sowie eine Sortiermaschine werden entworfen und programmiert
- plant der Wahlpflichtkurs Technik 10 den Bau von Solar Karts, die in einer
Ausbaustufe mit autonomen Systemen zur Strecken- und Hinderniserkennung versehen
werden sollen.
Alle diese u.a. Maßnahmen
haben der IGS List das Gütesiegel „Ausbildungs- und Berufswahlfreundliche
Schule“ eingebracht.
3. Perspektiven
3.1. Grundlagen
Es scheint nun an der Zeit, den inhaltlichen Rahmen für diese Aktivitäten
präziser zu fassen und in einem generellen, nicht nur technischen Konzept
für „Automatisierung und Robotertechnik“ des Fachbereichs
AWT (und benachbarter Fachbereiche) zu bündeln.
- Unter dem technischen Aspekt werden Roboter gebaut und programmiert. Dies
beinhaltet einerseits stationäre industrielle Roboter (Schwerpunkt Automation)
wie auch autonome Systeme (Schwerpunkt mobile Systeme). Das beinhaltet eine
Beschäftigung mit der Elektronik, der Mechanik, den möglichen Antrieben,
dem Materialfluss, der Sensorik u.a.
- Unter dem berufsorientierenden Aspekt werden sich Schülerinnen und
Schüler mit der Veränderung in der Arbeitswelt auseinandersetzen.
In der Industrie geht der Trend weg von einfachen Tätigkeiten hin zu
hochspezialisiertem Fachwissen mit den bekannten Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt
(wobei dies für das Handwerk nur eingeschränkt gilt). Im Dienstleistungsbereich
werden durch Automation und Online - Zugriff in weiten Bereichen Arbeitsplätze
überflüssig.
- Unter dem ethischen Aspekt wird reflektiert, dass neue wissenschaftliche
Erkenntnisse und technische Möglichkeiten uns vor grundsätzliche
Fragen stellen: Wie gehen wir mit der Natur um? Wie gehen wir mit der Gattung
Mensch um? Was bedeutet Fortschritt heute? Die möglichen Folgen von Automatisierungsprozessen
für den gesellschaftlichen Wertekanon und unser Menschenbild werden reflektiert.
Diese ethischen Überlegungen gilt es abzuwägen mit den Aspekten
der Arbeitserleichterung, dem Unternehmergeist sowie der Partizipation möglichst
vieler an Fortschritt und Wohlstand. Es wird also eine Gewichtung und Rangordnung
der Argumente in der Diskussion erarbeitet.
- Integrierte Informatikthemen sind die Steuerung paralleler Abläufe,
das Handeln unter Echtzeitbedingungen, die Auseinandersetzung mit „Künstlicher
Intelligenz“ und „Multiagenten Systeme“, Bilderkennung und
Bildverarbeitung. Die notwendige Algorithmenbildung zwingt Schülerinnen
und Schüler zum logischen Durchdenken komplexer Abläufe.
- Didaktisch / methodische Aspekte der Herangehensweise des Konzeptes lassen
sich charakterisieren unter den Stichworten „Alternative zu ‚telling
und testing’ “; Vermeidung von „single answer questions“
oder „learn how to design not about design“. Die Erfahrungen zeigen,
dass entsprechende Ansätze ein hohes Maß an Motivationen und Möglichkeiten
beinhalten: „Robotics gives children the opportunity to make connections
to lessons they are already comfortable with as they begin to synthesize new
concepts.”
3.2. Schlussfolgerungen
3.2.1 Curriculare Vorbemerkung
Im Rahmen der Sekundarstufe I ist besonders Alter und Vorerfahrungen der Schülerinnen
zu beachten. Eine völlig freie Aufgabenstellung im Bereich der Robotertechnik
(„nun baut mal“) führt eher zur Überlastung als zu funktionsfähigen
Robotern. Das gleiche gilt für den Bereich der Automatisierung.
Zur eigenständigen Informationsbeschaffung, um komplexe Aufgaben zu lösen,
ist vor allem die Altersgruppe bis Jahrgang 8 einschließlich noch nicht
in der Lage. Auch haben die Schülerinnen und Schüler kaum Erfahrungen
im Umgang mit Technikbaukästen.
Andererseits zeigen aber die bisherigen Erfahrungen, dass
- ein hohes Maß an kreativer Integrationsbereitschaft vorhanden ist
(Beispiel Arbeitsgemeinschaft Jahrgang 5/6: Achsschenkellenkung: nachdem die
erste Schülergruppe eine Lösung gefunden hatte, waren die anderen
Gruppen blitzschnell in der Lage, diese Lösung in ihr Modell zu integrieren)
- technische Transferfähigkeiten entwickelt werden (Beispiel Wahlpflichtkurs
Jahrgang 9: Eine Gruppe von Mädchen baut ohne größere Hilfestellung
das Modell eines pneumatischen Bearbeitungszentrums (fischer-technik) zu einem
Bonbonautomaten um
3.2.2. Pflichtunterricht
Im Rahmen des Projektunterrichts „Lernen im Stadtteil“ im 8. Jahrgang,
in den das Fach AWT integriert ist, und im Rahmen der Themen „Industrialisierung“
in Gesellschaftslehre und „berufliche Orientierung“ in AWT, beides
im 9. Jahrgang, bietet sich die Möglichkeit der berufsorientierenden
und ethischen Auseinandersetzung mit den o.g. Themen.
3.2.3. Wahlpflichtunterricht
Der Wahlpflichtunterricht legt den Schwerpunkt auf Automatisierung:
Unter dem Thema „Von der Handarbeit zur vernetzten Produktion“
wird die CAD / CAM Einführung verbunden mit der Sozial- und Technikgeschichte.
Dabei können Schülerinnen und Schüler den grundlegenden Wandel
der Produktionstechnik handelnd erfahren. Vier Etappen bilden dabei das Grundgerüst:
Handwerkliche Fertigung, Mehrfachfertigung, CNC-Steuerung, CAD/CAM Fertigung;
die sich jeweils in die folgenden Phasen gliedern: Ermitteln der Arbeitsweise
und Arbeitsabläufe, planen und Erproben der Arbeitsschritte, qualitative
und quantitative Auswertungen. Dabei werden die praktischen Erfahrungen mit
der Mehrfachfertigung des WPK Technik im 7./8. Jahrgang aufgegriffen und in
einem historischen Zusammenhang gestellt.
Ein weiteres Thema ist die praktische Nachbildung eines Automatisierungsprozesses.
Dies kann im Bereich von Fertigungsverfahren, im Dienstleistungsbereich oder
anderer Bereiche sein.
Für diesen Thema sind grundsätzlich zwei Vorgehensweisen möglich:
- Aufgrund einer Betriebsbesichtigung / Betriebsanalyse wird ein bestehender
Automatisierungsvorgang nachgebildet (s. z.B. das Modell einer Müll -
Sortieranlage beim VDI Kongreß 2001). Hierbei steht der Analyse der
realen Industriesituation und deren Umsetzung in ein Modell im Vordergrund.
- Aufgrund einer Problemstellung („baut einen Automaten, der auf Knopfdruck
ein gewünschtes Bonbon herausgibt“) wird ein Automat entworfen
und gebaut. Hierbei steht der Problemlösungsaspekt im Vordergrund, eine
evtl. schon vorhandene technische Umsetzung („wie haben die das Problem
gelöst“) wird erst zur Bewertung der eigenen Lösung und zum
Transfer herangezogen.
Möglich ist auch die Analyse
und punktuelle Nachbildung ganzer Bereiche, wie sie z.B. Lego in seinen Projektsets
anbietet (Vergnügungspark; Städte, Transport und Verkehr; das intelligente
Haus).
Diese projektartige Auseinandersetzung mit der Lebenswirklichkeit ermöglicht
auch die Aufklärung darüber, wie weit Mess- und Regelvorgänge
schon (oft unbewusst) unseren Alltag mitbestimmen.
3.2.4. Wahlunterricht
Der Wahlunterricht legt den Schwerpunkt der Arbeit auf autonome mobile Systeme.
Die Aufgabenstellung steigert sich von den typischen Anfängeraufgaben
(einer Spur folgen, ein Hindernis (mechanisch) erkennen, einer Lampe folgen)
über mittelschwere Aufgaben (z.B. Gegenstände sammeln und ablegen)
zu hochkomplexen Problemstellungen (Robo-Cup Junior: Kooperation von 2 Robotern
im simulierten Fußballspiel).
Bedingt durch die Rahmenbedingen des Wahlunterrichts (jährlicher Wechsel
möglich) und bedingt durch die Jahrgangsstufen (vor allem 5 bis 8) muss
hier zweigleisig gefahren werden:
Grundkurse zeichnen sich durch einen Einführungsteil
in das verwendete Material und die Programmierumgebung (hier: LLWin) aus;
gefolgt von altersgemäßen kleineren Aufgabenstellungen, die innerhalb
von 1 bis 2 Monaten zu funktionierenden Robotern führen und deren Aufgabenstellung
auch Wettbewerbselemente enthalten kann. Damit entsprechen solche Kurse den
Roboter–Bau–Laboren, wie sie z.B. vom TCSI oder anderen Institutionen
als Wochenkurse angeboten werden. Hingewiesen sei an dieser Stelle auch auf
Kurse, die sich speziell an Mädchen wenden (z.B. an der Fachhochschule
Hannover)
Fortgeschrittenenkurse wenden sich an Schülerinnen und
Schüler, die mindestens einen Grundkurs durchlaufen haben. Diese können
sich durch eine komplexere Aufgabenstellung auszeichnen. Die Kenntnis und
Handhabung von Material und Programmierumgebung wird hier vorausgesetzt. Die
Attraktivität dieser Kurse entsteht aus Aufgabenstellungen, die entweder
vom Ablauf komplexer (verstärkte Anwendung von Unterprogrammtechnik)
oder zeitkritischer sind (Verarbeitung von Echtzeit- Informationen). Auch
könnte Datenspeicherung benötigt werden (Messwertreihen; Zugriff
auf Datenbanken).
Die Steuerung der Roboter vermittels einer komplexeren Programmiersprache
(C++, Delphi) könnte erforderlich sein.
Werner Schlüter